Der Trail fasziniert immer wieder aufs neue.
Die schiere endlose Weite in diesem Land ist fast erdrückend. Die Hälfte liegt bereits hinter uns und wir nähern uns immer mehr der Küste. Immer öfter drehen sich die Gespräche ums Essen. Denn obwohl wir mehr als genug haben, träumt ein jeder immer von dem, was er nicht im Rucksack hat. Bis Sissimiut ist es aber noch ein Stück.
Kurz und knackig:
In der Entfernung suchen 2 Leute offensichtlich nach dem Verlauf des Weges. Sie kommen auf mich zu, um nach dem Weg zu fragen, 2011 ist aber auch für mich das erste Mal auf dem ACT. Schnell wird jedoch mithilfe der Karte klar, dass es nur einen möglichen Weg geben kann. Wir müssen hoch und das geht eigentlich nur über eine Kante, die wir erkennen. So befüllen wir unsere Wasserflaschen und laufen los. Anstiege waren nie mein Ding, aber sie gehören einfach dazu. Also lauf ich sie einfach hoch, relativ stur und flott nach oben.
Es lohnt sich, der Tasersuaq-See, dessen Länge wir selbst von hier oben nicht voll erkennen können, ist noch viel größer als der Amitsorsuaq, und dieser hat schon 22 Kilometer Länge. Oben muss ich etwas warten, aber das mache ich gerne, außerdem kühlt mich die leichte Brise wieder etwas ab. Auf dem kleinen Plateau angekommen, geht es noch einige Kilometer weiter bis zur Hütte. Da uns die Fliegen etwas nerven, beschließen wir, diese Hütte zu nehmen. Tür zu und wir gehen gemeinsam auf Mücken- und Fliegenjagd. Irgendwann ist die Bude bewohnbar. Der Wind hat die Nacht über tatsächlich zugenommen und wir haben das Gefühl, in dieser Nacht alles richtig gemacht zu haben.
Ole’s Furt:
Wir laufen weiter auf dem Plateau und es geht anfangs auch weiter hinauf, bis wir den Abstieg beginnen und gemeinsam wandern wir der großen Furt entgegen. Unten angekommen befinden wir uns in einem Tal, das von fast drei Seiten gut gegen Wind geschützt wird. Schwärme an Fliegen steigen auf und wir holen schnell unsere Netze hervor, das Areal vor Ole’s Furt macht gewiss keinen Spaß, 2012 hatte wir jedoch keine einzige Fliege. Wer dem Fluss weiter in Richtung Fjord folgt, erreicht angeblich eine Brücke. Das Problem daran ist jedoch, dass dem Flussverlauf nicht direkt gefolgt werden kann. Immer wieder gibt es sehr sumpfige Areale. So sollte sich eher in einem großen Halbbogen bewegt werden und auch dann sei die ominöse Brücke erst recht spät zu sehen.
Ich habe nie probiert, diese zu finden. Die Teilnehmer hatten nichts gegen eine richtige Furt und das bedeutet hier: Schuhe aus, Hose aus, Shorts hoch.
Denn Ole’s Furt führt, auch an der richtigen Stelle durchgeführt, oft durch viel Wasser. So erkläre ich die „Tripod-Technik“. Genutzt wird dabei nur ein Trekkingstock, der als drittes Bein fungiert. Der Körper wird gegen die Flussrichtung gelehnt und der Stock etwa einen halben Meter vor einem im Flussbett fixiert. Nun schiebt man das linke Bein nach links, zieht das rechte nach und setzt den Stock erneut. Das stellt sicher, dass nie nur ein Standpunkt vorhanden ist. Zudem dürfen Rucksackgurte nicht geschlossen werden. Zu groß ist die Gefahr, dass einen der Rucksack nach unten zieht, wenn man doch mal umfällt. Wer die Kraft des Wassers kennt, wird dies verstehen. Etwas kleinere Teilnehmer werden bis zur Hüfte nass und geben die Rucksäcke besser ab, so laufe ich mehrfach hin und her, bis alles drüben ist. Keiner fällt ins Wasser oder wird weggedrückt und das kann hier schnell passieren.
Die Gelegenheit ist günstig und wir sind eh etwas nass, also waschen wir uns gleich mal. Anschließend brechen wir auf, um eine nette kleine Hütte zur erreichen. Allerdings kostet uns der Anstieg noch einiges an Kraft, er zieht sich über ein paar Kilometer. Im Westen suche ich die Gegend derweil nach der „Brücke“ ab. Wieder nichts, vielleicht beim nächsten Mal, dann mit GPS-Gerät. Die Hütte gehört zur neueren Bauart und wirkt sauber wie immer, auch 2011 haben wir uns hier niedergelassen. Je anstrengender die Tage, desto weniger Lust ist vorhanden, abends noch Zelte aufzubauen. Der einzige Haken: die Wasserstelle ist ca. 400 Meter entfernt. Alles klar: Wer geht Wasser holen? Okay, ich melde mich freiwillig, bekomme aber noch Begleitung. Die Wasserversorgung bis zum nächsten Morgen ist damit gesichert. Wir verewigen uns im Gästebuch und gehen satt schlafen.
Schwerer Fehler:
Vielleicht habe ich mich wirklich davon irritieren lassen, dass in dieser Gegend Bauarbeiten stattfanden. Der Weg war durch Planierraupen ziemlich zerstört. Nicht weit entfernt wurde ein kleiner Damm errichtet. So erkenne ich nicht den Abzweig, den wir hätten nehmen müssen. Ich führe meine Leute auf Wege, die eigentlich keine sind. Irgendwann rumort es in mir und ich zücke die Karte: Herrje, wo sind wir? Nach der Hütte westlich halten, alles richtig. Nachdem wir tendenziell zwar richtig gelaufen sind, suche ich mir einen hohen Punkt und verschwinde. Ich finde den Damm, bestimme danach unsere Position und führe uns wieder auf den richtigen Weg. Aber mein Fehler kostet uns fast einen halben Tag, durch anstrengendes Areal. Eine Teilnehmerin sagt mir am Ende der Tour, dass sie sich immer sicher gefühlt habe mit mir als Guide.
Vermutlich haben sie alle bemerkt, dass dieser Fehler mich innerlich mehr wurmt, als ich zugegeben habe. Nachdem wir wieder auf dem richtigen Weg sind, laufen wir noch ein kleines Stück und schlagen dann unsere Zelte auf. Der Folgetag wird uns in Richtung Luxushütte führen. Diese recht neue, große Hütte wird von vielen Leuten gern angesteuert. Leider muss man jedoch feststellen, dass es rund um die Hütte ziemlich miserabel aussieht. Jeder Meter ist zu weit und die Leute machen ihr Geschäft dort, wo sie vermuten, nicht gesehen zu werden. Bis wir die Hütte erreichen, müssen wir aber ein ganzes Stück nach Norden laufen. Drei Seen liegen rechts von uns. An der Spitze angekommen geht’s in einer 270°‑Linkskurve den Fluss entlang, dieser windet sich nun wieder rechts entlang. Das Wasser glitzert durch die Sonnenstrahlen wie Gold.
Hier geht einer der Seen in den Fluss über und ist entsprechend flach, sehr flach. Einige hundert Meter links von uns verläuft eine Bergkette, aus der mehrere Bäche entspringen, die auch in den Fluss münden. Das bedeutet leider auch, dass unsere Strecke sumpfig sein wird. Und wo Sumpf ist, sind Mücken und Fliegen nicht weit. So kommt es, dass die Netze wieder ausgepackt werden, es wird geflucht und weitergelaufen. In solchen Arealen verschwindet auch gern mal der Weg vor uns. Wer hier die grobe Richtung im Kopf hat, dem ist bereits geholfen.
Hin und wieder kann man auch mal ein Steinmännchen erkennen, aber einen Weg? Viel zu sumpfig, wir suchen uns einen eigenen. Wie es eben passt, laufen wir weiter nach Westen. Nach 45 Minuten liegt das sumpfige Areal endlich hinter uns. Wieder eine Linkskurve und wir können die alte Hütte auf einem Hügel bereits erkennen. Die neue liegt allerdings ein Stück weiter rechts davon, also hopp. Zu unserer Freude befindet sich das Innere der Hütte in einem tadellosen Zustand. Zudem ist sie sogar leer und wird es auch im weiteren Verlauf des Abends bleiben. Wir richten uns entspannt ein und genießen den Abend mit einem herrlichen Ausblick auf den See direkt vor der Hütte.
Halber Pausentag:
Wir liegen mehr als gut in der Zeit und so beschließen wir, es locker anzugehen. Der Plan für heute ist, lediglich ca. sieben Kilometer zu laufen und an einem kleinen See die Zelte aufzuschlagen. So werfen wir uns erst gegen Mittag in die Schuhe, schultern die Rucksäcke und marschieren los. Kurz hinter der Hütte müssen wir den Abfluss des Sees überwinden, üben konnten wir bereits genug und so geht es für uns flott von Stein zu Stein. Nun geht es rechts vom See immer nach Westen. Ein kleiner Aufstieg zeichnet sich bereits ab, aber auch den nehmen wir gewohnt gelassen. Oben angekommen führt uns der Weg noch etwa vier Kilometer weiter bis an den Rand eines langen Tales. Dieses liegt recht windgeschützt, weshalb wir gern innerhalb eines Tages komplett durchlaufen möchten.
Unser halber Lauftag ist ideal dafür. Am See liegen unsere Badenixen bei 25 °C und praller Sonne auf ihren Isomatten. Ja, wir sind noch immer in Grönland. Am nächsten Morgen krabbeln wir bei dichtem Nebel aus den Zelten, das Thermometer zeigt 4 °C an. Der Wetterwechsel hat uns voll erwischt. Reichlich warme Getränke werden an diesem feucht-kühlen Morgen konsumiert. Eingepackt starten wir unser Tagesprogramm, 27 Kilometer wollen wir heute schaffen. 22 brauchen wir, um das Tal komplett zu durchwandern und zeitgleich eine Stelle zu erreichen, bei der es Sinn macht zu zelten, denn das Areal ist nicht optimal.
Warum so ein lange Strecke?
Nun, das Tal liegt gut geschützt und ist gefürchtet für seine Mücken. Und es wird uns voll erwischen. Der seichte Abstieg ins Tal wird von Rentieren begleitet und das Areal ermöglicht ein hohes Lauftempo. Schnell ziehen wir also manch Lage wieder aus, die wir anfangs noch benötigten, aber da wir leider absolut keinen Wind haben, steigen Schwärme an Mücken und Fliegen auf. Deet (das übliche Antimückenmittel) und Mückennetz lassen grüßen. Nach etwa neun Kilometern erreichen wir die Hütte in der Mitte des Tales, wir flüchten ins Innere und machen unsere erste große Pause, bisher gab es nur Riegel-on-the-go. Ganz allein sind wir aber nicht, einige Grönländer befinden sich noch in der Hütte und stehen kurz vor dem Aufbruch. Sie sind die letzten einer etwas größeren Gruppe. Die letzten beiden Hütten, oder die ersten beiden von Sisimiut aus, sind bei Ausflüglern sehr beliebt.
Wer gern wandert, hat eine schöne Distanz fürs Wochenende. Von hier planen wir die weiteren neun Kilometer, die etwas schwerer werden, aber so ist der Tag ideal in drei Abschnitte geteilt. Nach der Hütte müssen wir links über den Fluss. Theoretisch könnten wir auch rechts bleiben und einfach später queren, aber wir halten uns an den Hauptweg. Das Areal ändert sich, wir kommen näher an den Fluss, es wird schlammig, modrig und der Weg verschwindet wie so oft bei diesen Bedingungen. Wir suchen uns also einen möglichst einfachen Weg heraus, so trocken es eben geht. Nach erneuten fünf Kilometern müssen wir erneut rechts über den Fluss. Unsere Seite führt auf eine Steilwand zu, an der es unmöglich ist entlangzulaufen, also rechts rüber.
Ein paar hundert Meter den Fluss runter und wir müssen zurück auf die linke Seite. Hier pausieren wir erneut für eine längere Zeit. Knapp zwei Drittel des Tages sind geschafft. In einer weitgezogenen Rechtskurve umlaufen wir einen See, die Hütte konnte man für einen kleinen Augenblick oben auf dem Hügel sehen, aber ich habe es für mich behalten. Die verbleibende Entfernung wäre wohl etwas zermürbend gewesen. Also weiter, es geht einen kleinen Aufstieg hinauf. Mittlerweile sind wir fast sieben Stunden gelaufen und bei allen wird die Erschöpfung sichtbar. Umso schöner, als wir endlich die Hütte erreichen. Leider wird diese von den Grönländern belegt, die wir zur ersten Pause trafen.
Wir hatten ein wenig die Hoffnung, uns nach einem langen Tag wenigstens das Aufbauen der Zelte sparen zu können, aber es nützt nichts und sie stehen schnell, sturmfest gesichert. Insgeheim war uns wohl allen klar, dass die Grönländer nicht die volle Distanz bis nach Sisimiut laufen würden. Denn über dem Fjord weht eine steife Brise, aus Westen kommend, ins Inland hinein. Dies wird unser letzter Abend auf dem Arctic Circle Trail werden, wir haben beschlossen, am Folgetag weitere 22 Kilometer bis nach Sisimiut zu laufen. Wir wollen einen extra Tag am Zielort haben. Zwar sind wir an diesem Abend alle platt und essen kräftig, um die Akkus zu laden, ich allein verdrücke eine Doppelportion, Dessert und Schokolade (aka Dessert Nr. 2).
Obwohl der Wind kräftig am Zelt zieht, schlafen wir doch recht schnell ein. Die optimalen Zeltplätze liegen hier links der Hütte und somit im Windkanal. Bis zum frühen Morgen wird dieser weiterhin kräftig wehen, dann flaut er ab. Wir essen unser letztes Müsli und ab geht es. Das einzig wirklich fiese Stück kommt etwa sechs Kilometer hinter der Hütte, wir müssen einen Anstieg von etwa 450 Höhenmetern überwinden. Der Weg bis dahin ist ein stetiges Auf und Ab. Jeder geht weiterhin in seinem Tempo. Bis wir alle oben angekommen sind, vergeht ca. eine Stunde. Wir pausieren, genießen die Aussicht auf den Fjord und die Bergkette nach Norden.
Von hier sind es nur noch 15 Kilometer bis nach Sisimiut und wir werden die Zivilisation schon deutlich früher erblicken. Ein paar Kilometer geht es oben über das platte Plateau. Kurz bevor wir absteigen, erreichen wir eine Stelle, an der wir das erste Mal das Blau des Atlantiks erblicken können, 160 Kilometer haben wir bereits in den Beinen und nur noch wenige werden folgen. Wir durchwandern ein kraterähnliches Areal. Links, im längsten Schatten der Berge, liegt noch immer Altschnee aus dem Winter, in der Mitte befinden sich satte grüne Wiesen und am Sonnenhang breitet sich die Nationalblume Nasarsuaq in einem violetten/pinken Teppich am Hang aus. Das erste bisschen Zivilisation erfahren wir, als der Skilift von Sisimiut rechts von uns auftaucht. Etwas unwirklich dieses kleine Ding, aber wieso sollten nicht auch die Grönländer Gefallen an Abfahrt finden. Immer nur Langlauf schien dann doch zu öde.
Ein wenig laufen wir noch und pausieren an der Stelle, die uns den Blick auf die Stadt ermöglicht, unweit des Skilifts. Wir setzen uns zehn Minuten und jeder denkt sich seinen Teil. Neun Tage haben wir nun draußen verbracht und da vorn liegt unser Ziel. Die heiße Dusche, die Banane aus dem Supermarkt oder einfach nur der frische Kaffee. Die letzten Tage des Trekkings drehten sich häufig um das Thema Essen, nicht ungewöhnlich. Und doch hatte jeder etwas anderes im Sinn. Wir nehmen die letzten Kilometer unserer Tour in Angriff, viel wird nicht gesprochen, evtl. verabschieden wir uns alle vom Trail.
Wir erleben noch eineinhalb tolle Tage in Sisimiut, sehen und entdecken viel, schreiben Postkarten und chillen einfach nur in der Sonne, kaufen Souvenirs oder planen bereits die nächste Tour. Kurz danach muss ich bereits nach Korsika, in Berlin habe ich nur wenige Stunden, um meine Ausrüstung auf Vordermann zu bringen und von Trekking auf Wandern, GR20, umzustellen. Für mich war immer klar, dass ich Grönland wiedersehen musste. Schon 2012 konnte ich zurückkehren, ich habe mich verliebt. Bis heute konnte ich viermal den Arctic Circle Trail führen. Es war mir immer wieder eine Freude. Dieser Bericht beinhaltet die ersten zwei Touren… weitere folgen…